Jugendzeit und Erwachsensein
Endlich 18 – endlich volljährig vor dem Gesetz, endlich erwachsen und damit voll geschäftsfähig! Aber endlich auch unabhängig, selbständig, eigenverantwortlich?
Die Wirklichkeit sieht vielfach anders aus. Galt bis vor einigen Jahren die Jugendzeit eher als eine Übergangsphase von der Kindheit zum Erwachsensein, so ist sie heute zu einer eigenständigen Lebensphase mit eigenen Regeln und Gesetzmäßigkeiten geworden. Bei vielen jungen Menschen erstreckt sie sich bis weit über das 30. Lebensjahr. Zwischen Jugendzeit (Adoleszenz) und Erwachsensein hat sich ein neuer Lebensabschnitt geschoben: das junge Erwachsenen-alter (Postadoleszenz).
Der Welt der Jugendlichen längst schon entwachsen, sind die jungen Heranwachsenden in die Welt der Erwachsenen noch lange nicht hineingewachsen. Ihre Position ist weniger eindeutig bestimmbar; die klassischen Statusübergänge früherer Zeiten sind weithin aufgehoben oder zumindest auf-geschoben. Markante Punkte, Ereignisse und Riten, die früher die Lebensphasen bestimmten und zugleich voneinander abgrenzten, sind immer seltener auszumachen.
Traditionelle Erwartungen und Vorstellungen mit Blick auf das Erwachsensein – abgeschlossene Berufsausbildung und regelmäßige Erwerbstätigkeit, gesichertes Einkommen und beständiger Lebensstil, Ablösung vom Elternhaus und neues Beziehungsnetz durch Heirat und Familiengründung – werden zusehends später und kaum mehr gleichzeitig realisiert. Was ihre Eltern mit Ende 20 schon hinter sich hatten, steht ihnen mit dem 30. Geburtstag noch bevor: erwachsen werden. Früher war mit 30 alles schon gelaufen, heute werden da erst die Weichen gestellt.
Es gibt in unserer Gesellschaft keine klare und eindeutige Vorstellung und Bestimmung von Jugend mehr. Diese Altersphase verläuft heute viel individueller und differenzierter als noch zehn oder zwanzig Jahre zuvor. Auch die konkreten Lebenssituationen der jungen Leute sind vielfältiger und kaum miteinander vergleichbar. So hat sich gerade in den letzten Jahren eine große Bandbreite unterschiedlichster Lebensformen und Lebensmodelle herausgebildet, die in Konkurrenz zueinander stehen und sich als Alternativen verstehen. Das alles macht jungen Leuten die Entscheidung nur noch schwerer.
Insgesamt kann wohl von nachweislich drastischen Verschiebungen im Lebenslauf junger Erwachsener gesprochen werden, die sich allein schon an den demographischen Daten ablesen lassen: das Alter beim Berufseintritt, das Heiratsalter und das Alter der Eltern bei der Geburt des ersten Kindes haben sich deutlich nach hinten verlagert. In dieser Lebensphase, in der noch ihre Eltern traditionellerweise geheiratet und eine Familie gegründet haben, müssen junge Leute zunächst die vielfachen Probleme um Ausbildungsabschluss und Berufseintritt bewältigen, bevor sie überhaupt frei werden für weitere Aspekte ihrer Lebensplanung.
Mit Blick auf Ehe und Familie stellt sich ein eindeutiger Trend heraus: Die Zeitspanne zwischen dem Eintritt ins Jugendalter und der Ehe- und Familiengründung dehnt sich von Jahr zü Jahr weiter aus. Ursachen sind u.a. die lang anhaltende ökonomische Abhängigkeit und das spätere Verlassen des Elternhauses; die weite Verbreitung und immer längere Dauer der nichtehelichen Lebensgemeinschaften, die in der Regel kinderlos bleiben, sowie ganz allgemein die Verringerung der Familiengröße. Wer sich nur ein oder zwei Kinder wünscht, kann sich damit Zeit lassen.
Später Start in Beruf, Ehe, Familie
Waren 1970 45% der Männer und 46% der Frauen im Alter von 15 bis 19 fahren noch nicht erwerbstätig (mehr als die Hälfte der heutigen Elterngeneration ging also bereits einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nach!), so stieg die Zahl der in diesem Alter noch nicht Erwerbstätigen bis 1995 deutlich an: 65% bei den Männern und 72%> bei den Frauen.
Noch in den 70er Jahren heirateten westdeutsche Frauen im Schnitt mit 25, ihre Partner waren 28 Jahre alt. Im Osten gaben sich Männer und Frauen etwa ein halbes Jahr eher das Ja-Wort.
Seitdem ging es laut Statistik mit dem Heiratsalter ständig bergauf. Heute liegt es im Durchschnitt bei über 28 Jahren (Frauen) bzw. weit über 30 Jahren (Männer). In letzter Zeit steigt das Heiratsalter jährlich um etwa 2 Monate. Lag das Durchschnittsalter der Frauen bei ihrer ersten Entbindung 1970 noch bei 24,3 Jahren, ist es inzwischen auf über 29 Jahre angestiegen. Die Zahl der Frauen, die sich erst mit über 30 zu einem Kind entschließen, hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt.
Liebe, Ehe, Kind – dieses Phasenmodell ist Vergangenheit. Junge Paare heiraten heute nicht mehr, um endlich Zusammenleben zu können; sie heiraten vielmehr, wenn der Kinderwunsch sich alsbald erfüllen soll oder sich bereits aktualisiert hat. Die Gründung eines gemeinsamen Haushaltes führt zur Bildung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Weit weniger als noch vor einigen Jahren geht sie dann in eine Ehe über. Der erste Lebenspartner wird nicht mehr zwangsläufig später auch zum Ehepartner. Heiraten muss man nicht unbedingt. Immer häufiger werden nichteheliche Lebensgemeinschaften nach Jahren aufgelöst und neue Partner bzw. Partnerinnen gesucht.
Trotz dieser Entwicklung hat die Ehe auch für die jüngere Generation einen ungebrochen hohen Stellenwert. Vielleicht halten gerade die Wertschätzung der Ehe und die oft überhöhten Anforderungen an die Qualität der ehelichen Partnerschaft die jungen Leute zunächst noch davon ab, den entscheidenden Schritt zu tun und sich auf das Wagnis einer Ehe einzulassen. Nicht die Ehe selbst steht zur Diskussion, eher schon ihr Zeitpunkt angesichts des veränderten Lebenslaufes junger Menschen.
Für die meisten ist die Ehe ideal
Die Ehe ist für die Deutschen trotz der hohen Scheidungsrate kein Auslaufmodell. Für 68% ist sie das ideale Modell einer Partnerschaft, (ap)
WAZ, 19.3.97