Heiraten oder nicht
Konnten in der unruhigen Zeit der siebziger Jahre die jungen Leute nicht früh genug aus dem Elternhaus ausziehen, so ist heute ein gegenläufiger Trend festzustellen: Die meisten Jugendlichen und jungen Erwachsenen bleiben bedeutend länger zu Hause wohnen. Die Nesthocker der neunziger Jahre haben die Nestflüchter der siebziger Jahre abgelöst.
Es überrascht dabei nicht, dass nachweislich die Söhne länger zu Hause verweilen als die Töchter. Drei von vier 30-Jährigen im häuslichen Nest sind männlichen Geschlechtes. Die Mutter-Sohn-Beziehung ist für ihre innige Verbundenheit bekannt: Wen darf es da wundern, wenn vor allem die Söhne besonders ausdauernd und intensiv die Bequemlichkeit einer Rundum-Versorgung im Hotel Mama in vollen Zügen zu genießen gelernt haben. Offenbar schrecken die meisten jungen Männer in ihrem Privatleben davor zurück, ihre Selbstständigkeit zu erproben, während sie hingegen in den eher öffentlichen Lebensbereichen mit aller Macht ihre Unabhängigkeit durchzusetzen versuchen.
Kardinal wettert gegen Italiens Nesthocker
Bologna (epd). Der Kardinal von Bologna, Ciacomo Biffi,
hat das Nesthockerturn junger Italiener angeprangert.
Es werde zur gefährlichen Gewohnheit, dass Menschen mit 30 Jahren noch bei ihren Eltern lebten, statt selbst eine Familie zu gründen. Dieser Zölibat der Bequemlichkeit werde für reiche Gesellschaften immer typischer. Nach Statistiken lebten 67,4% der Italiener zwischen 25 und 29 Jahren noch zu Hause; bei den Frauen seien es 46%.
Besteht hier nicht die Gefahr, dass die jungen Männer einen lückenlosen Übergang zu schaffen versuchen von der mütterlichen Besorgtheit zur Umsorgtheit in der Ehe? Verwöhnte und unselbstständige Männer bringen jedenfalls nicht die besten Voraussetzungen mit für eine partnerschaftliche Ehe. Selbst aus eingefleischten Nesthockern müssen irgendwann Nestflüchter werden! Stellt sich die Frage, ob sie bis dahin nicht das Fliegen verlernt haben und weiterhin Zuflucht suchen unter Mutters Fittichen.
Für die Eltern, vor allem für die Mütter, mag es Bestätigung ihrer Erziehungsleistung und Wertschätzung ihrer Person sein, wenn ihre Kinder möglichst lange zu Hause verweilen. Sie können sich dann weiter über ihre Elternrolle definieren. Aber irgendwann kommt wohl der Zeitpunkt, wo sie sich im Hotel Gratis von ihren Hotelgästen ausgenutzt, vielleicht sogar ausgebeutet fühlen. Was dann? Hier Abhilfe zu schaffen fällt schwer, ist aber dringend erforderlich. Gelegentlich helfen nur radikale Einschnitte in gewohnte Lebensabläufe und energische Maßnahmen gegen verwöhnte Zeitgenossen weiter.