Zwischen Familie und Freundschaft wählen – erfahren Sie mehr

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In den Volksweisheiten verdichten sich die jahrhundertealten Erfahrungen ganzer Völker, Stämme und Sippen. Kein Land, kein Volk auf der Welt, das nicht Spruchweisheiten kennt rund um die Freundschaft. Menschen brauchen Freunde! Schon Kleinkinder schließen erste Freundschaften; Jugendliche sprechen von ihrem besten Freund bzw. ihrer besten Freundin; Erwachsene verweisen auf langjährige Freundschaften, denen selbst räumliche Distanz nichts anhaben kann.

Mit den Freunden verbinden uns Geschichten, die eng verknüpft sind mit unserer Lebensgeschichte. Freunde sind gute Wegbegleiter – meist über bestimmte Wegetappen, gelegentlich ein ganzes Leben lang.

Freunde in Not gehen hundert auf ein Lot.
Aus Deutschland

Verjage die Fliege von der Stirn eines Freundes nicht mit der Axt.
Aus China

Der ist ein guter Freund, der hinter unserem Rücken gut von uns spricht.
Aus Großbritannien

Man kann die Menschen entbehren, aber man bedarf seiner Freunde.
Aus China

Empfindlich ist das Auge des Freundes. Ein Sandkorn verletzt es.
Aus Äthiopien

Wer sich selbst für seinen besten Freund hält, verdient keinen Freund.
Aus Schweden

Schließe Freundschaft, wenn du sie nicht brauchst.
Aus Amerika

Bei einem Freund trank ich Wasser, es schmeckte wie Wein.
Aus Russland

Wer es dir nicht sagt, ist nicht dein Freund.
Aus Afrika

Zwischen Familie und Freundschaft
So gewinnen Freundschaften eine große Bedeutung in den menschlichen Lebensläufen. Sie sind wichtige Knotenpunkte im sozialen Netzwerk, das wir uns im Laufe unseres Lebens knüpfen. Es gibt soziale Beziehungen, in die wir hineingeboren oder in die wir mehr oder weniger hineingezwungen werden. Eltern, Geschwister und Verwandte sind uns vorgegeben; Arbeitskollegen und Vorgesetzte werden uns vorgesetzt; Schul- und Sportkameraden fühlen wir uns verpflichtet. Freunde und Freundinnen hingegen suchen wir uns selbst aus – sie sind sozusagen Wahlverwandtschaften.

Familienbindungen legen fest: Es gibt fest stehende Familienmitglieder; fest liegende Familiengewohnheiten und fest verwurzelte Familiennormen; fest gefügte, mitunter erstarrte Familienstrukturen. Je inniger der Familienzusammenhalt, desto stärker die Neigung, die Familienmitglieder in Beschlag oder in Besitz zu nehmen. Je kleiner die heutigen Familien, desto begrenzter die Freiräume der Einzelnen. Jeder Mensch braucht auf dem Weg zur Selbstständigkeit den Schutz in der Familie, mitunter brauchen aber gerade junge Leute genauso dringlich den Schutz vor der Familie. Den notwendigen (neuen) Schutzraum können die frei gewählten Freundschaften bieten. Was immer ein junger Mensch als soziales Erbe von seiner Familie mitbekommt – im Guten wie im weniger Guten das kann mit Unterstützung seiner Freunde hinterfragt, bestätigt, ergänzt, verändert oder auch aufgegeben werden.

Freundschaften binden ebenfalls, aber sie fesseln nicht! Niemand kann zur Freundschaft gezwungen werden; niemand wird unter Druck an einer Freundschaft festhalten wollen. Die Freiwilligkeit ist eines der wichtigsten Markenzeichen der Freundschaft. Sie eröffnet oft lang vermisste Frei- und Spielräume, verpflichtet allerdings auch zu deren Ausgestaltung. Zu Recht sprechen wir von der Pflege der Freund-schaften. Freunde müssen zu gemeinsamen Investitionen bereit sein; sie sind immer zugleich Gebende wie Nehmende. Lebendige Freundschaften sind auf Gegenseitigkeit ausgerichtet. Wo der eine ständig den Gastgeber und der andere beharrlich den Gast spielt, wiederholt sich familiale Abhängigkeit: hier die verwöhnende Mutter- bzw. Vaterfigur, dort das verhätschelte Kind. Wenn eine Freundschaft sich zur einseitigen Versorgungsbeziehung fehlentwickelt, verliert sie ihren eigentlichen Sinn. Denn Freundschaft lebt ja von der Gleichwertigkeit der Freunde und deren gleichgewichtigem Umgang miteinander. Wo beides über längere Zeit in eine Schieflage gerät, da ist das Ende einer Freundschaft absehbar.

Es gibt dreierlei Freunde, die von Nutzen sind, und dreierlei Freunde, die von Übel sind. Freundschaft mit Aufrichtigen, Freundschaft mit Beständigen, Freundschaft mit Erfahrenen ist von Nutzen. Freundschaft mit Schmeichlern, Freundschaft mit Duckmäusern, Freundschaft mit Schwätzern ist von Übel.

Konfuzius
Freundschaften sind wie Brücken, die aus der kleinen Welt der Familie in die große Welt der Gesellschaft überführen wie auch umgekehrt wieder zurückführen. Nach wie vor sind Heranwachsende an ihre Familie gebunden – heute länger denn je; sie fühlen sich weiterhin ihrer Familie verbunden – heute inniger denn je. Loslösung vom Elternhaus bedeutet ja nicht, dass Jugendliche oder junge Erwachsene sich völlig von ihrer Familie distanzieren; wohl aber, dass sie aus einer gewissen Distanz die Familienbindung relativieren und damit lockern.

Freundschaften in ihren verschiedensten Spielarten können dabei entscheidende Hilfestellungen leisten. Sie führen aus der Familie in die Welt; aber sie führen zugleich die Welt in die Familie ein. Freunde und Freundeskreise vermitteln häufig ein neues, nicht selten gegenläufiges Weltbild: erweitertes Wissen und Können sowie zusätzliche Bindungen und Beziehungen, aber auch gegensätzliche Wert- und Sinnsysteme sowie andersartige Umgangs- und Verhaltensformen. Das alles bringen junge Leute als ihre Ideen, Impulse, Korrekturen in ihre Familie ein. So kommt neues Leben – im Doppelsinn des Wortes – ins Haus. Familie und Freundschaft, diese beiden für junge Menschen so wichtigen Sozialsysteme, stehen zweifellos in Konkurrenz zueinander, aber sie können sich auch wechselseitig ergänzen und bereichern.

Ais man dem einstigen französischen Ministerpräsidenten Georges Clemenceau berichtete, dass sein zwangzig jähriger Sohn auf der Universität den Verkehr mit kommunistischen Kommilitonen bevorzuge, meinte er gelassen: Wenn mein Sohn mit zwanzig Jahren nicht Kommunist wäre, würde ich ihn enterben. Wenn er allerdings mit dreißig Jahren immer noch Kommunist sein sollte, werde ich ihn enterben.

Vielfältige Wunschbilder von Freundschaften
Freundschaften sind Wunschbeziehungen. Man wünscht sich einen Freund bzw. eine Freundin. Man entwickelt Wunschbilder von ihnen, hat bestimmte Wunschvorstellungen von der zukünftigen Gemeinsamkeit. Diese Wünsche können sich mehr auf körperliche oder mehr auf charakterliche, mehr auf materielle oder mehr auf geistige Vorzüge ausrichten. Sie können unterschiedliche Interessensfelder ins Spiel bringen: Die einen suchen gemeinsame Freizeitgestaltung, die anderen erwarten einen wechselseitigen Austausch über alle Fragen des Lebens. Hier wird der Kumpel gewünscht, dort der Gesprächspartner gesucht, in anderen Fällen wiederum der Liebhaber bevorzugt. Freundschaften können komplementär sein: Gegensätze ziehen sich an oder auch symmetrisch: Gleich und Gleich gesellt sich gern. Der eine sucht sein Spiegelbild, die andere ihr Kontrastbild. Beziehungen können langfristig oder auch nur auf bestimmte Dauer angelegt sein. Die Wunschbilder sind so bunt, so vielfältig und so widersprüchlich wie die Menschen selbst. Aber eines haben sie gemeinsam: Sie sind der eigentliche Motor, Freundschaften einzugehen und aufrechtzuerhalten. Mit diesem Freund oder dieser Freundin lässt sich das Leben im Hier und Jetzt besser bewältigen. Uns verbinden gemeinsame Ziele und Ideale, Interessen und Neigungen, Wertvorstellungen und Weltanschauungen. Wir senden auf gleicher oder ähnlicher Wellenlänge. Auf dieser Grundlage können wir einander gut Freund sein!

Andererseits: Wunschbilder können auch Freundschaften gefährden, ja zerstören. Es gibt selbst unter besten Freunden und Freundinnen kein unbegrenztes Vertrauen, keine absolute Offenheit, keine gleich bleibende Zuneigung, keine ständige Hochform in Liebe und sexueller Lust. Schon nach kurzer Zeit erweisen sich Freund und Freundin auch als Mängelwesen mit manchen Schattenseiten – allen Idealisierungen zum Trotz. Neben das Verbindende tritt das Trennende; zu den Gemeinsamkeiten entwickeln sich die Unterschiede; Vertrautheit wechselt sich ab mit Fremdheit. Ideale und vor allem Idealisierungen haben auch ihre de-struktiven Seiten. Wie ein Krebsgeschwür wuchern die überzogenen Ansprüche in vielen Beziehungen und überfordern die Freunde, die nichts anderes sind als begrenzte und in vielem unzulängliche Menschen.

Zu dir kann ich kommen, ohne eine Uniform anziehen oder einen Koran hersagen zu müssen. Kein Stück meiner inneren Heimat brauche ich preiszugeben. In deiner Nähe habe ich mich nicht zu entschuldigen, nicht zu verteidigen, brauche ich nichts zu beweisen. Hier finde ich den Frieden von Tournus. Über meine ungeschickten Worte, über die Urteile hinweg, die mich irreführen können, siehst du in mir einfach den Menschen.
Antoine de Saint-Exupery