Freilich ist die klassische Familienlaufbahn früherer Generationen – Kennen- und Liebenlernen, Verloben, Heiraten, gesicherte Existenz aufbauen, Familie gründen – gründlich durchbrochen. Die einst zwingende Abfolge Wenn Liebe, dann Ehe; wenn Ehe, dann Familie ist weithin aufgelöst. Ehe- und Familiengründung gehören nicht mehr zu den selbstverständlichen Eckdaten eines allgemein gültigen Lebensentwurfes, vielmehr sind sie nur eine Möglichkeit unter zahlreichen anderen. Jedoch bedeutet die Auflösung bindender Traditionen und verbindlicher Lebensmuster keinesfalls ungebundene Beliebigkeit in der Wahl und Gestaltung menschlicher Beziehungen.
Nach wie vor gibt es die Option Ehe und Familie mit erheblicher Wertschätzung und bevorzugter Präferenz. Aber sie steht in Konkurrenz zu anderen Lebenszielen und Lebensplänen, die sich an anderen Kriterien, wie z.B. berufliche Karriere oder ausgiebige Freizeit, ausrichten. Auch wenn die Ehefreudigkeit ungebrochen scheint, sind Ehe und auch Familie eine unter vielen Lebensformen.
An Ehe und Elternschaft werden heute bestimmte Voraussetzungen und Bedingungen gestellt, bevor sie vollzogen werden. Sie sind nicht mehr Schicksal, sondern Ergebnis persönlicher Entscheidung und Bejahung. Wie alle anderen Lebensformen stehen auch sie auf dem Prüfstand.
Letzter Prüfstein ist dann für viele Paare die Frage nach authentischem Leben, nach echten Beziehungen, nach wirklicher Liebe. In welcher Lebensform kann das alles bei größter Redlichkeit am besten verwirklicht werden? Junge Menschen stellen heute hohe Ansprüche an ihre Beziehung – mit der Gefahr einer gegenseitigen Überforderung und einer Idealisierung ihrer Lebensmodelle.
Heiraten, Kinder kriegen, Karriere machen oder besten-falls alles auf einmal? Die lange Ausbildung hat ihre Jugend verlängert und das Erwachsenwerden in das vierte Lebensjahrzehnt verschoben – spätestens jetzt stellen sich für die über 30-Jährigen die entscheidenden Lebensfragen. Denn Menschen ab 30 wissen: Die biologische Uhr tickt. Es wird höchste Zeit für die Familienplanung.
Es wäre übrigens verfehlt, diese kulturelle Liberalisierung der Privatsphäre mit einem moralischen Verfall gleichzusetzen. An die Stelle der Bindung durch allgemeine Normen tritt überwiegend das Prinzip der moralischen Selbstbindung … Die starke Moralisierung der Selbstbindung bewirkt aber auch eine wachsende Zurückhaltung gegenüber langfristigen Verbindlichkeiten, wie sie durch die im Prinzip lebenslange Ehe und die rund zwei Jahrzehnte dauernde Erziehungsverantwortung zugemutet werden.