Junge Erwachsene leben in einer Zeit äußerer und innerer Widersprüche – Unverbindliche Lebenssituationen:
• Einerseits drängt es sie nach Unabhängigkeit und Selbstständigkeit, andererseits stoßen sie immer wieder an die Grenzen materieller Abhängigkeit und daraus resultieren-der Verpflichtungen.
• Einerseits entwerfen sie erste Berufs- und Lebenspläne, andererseits scheitern sie häufig bei deren Realisierung.
• Einerseits sind sie auf der Suche nach stabilen und gesicherten Lebensräumen, andererseits werden sie immer wieder mit instabilen und zerbrechlichen Lebensverhältnissen konfrontiert.
• Einerseits spüren sie in sich eine Sehnsucht nach verlässlichen und verbindlichen Beziehungen, andererseits er-fahren sie die Wechselhaftigkeit ihrer Freund- und Liebschaften.
• Einerseits bemühen sie sich um Aufbau bzw. Konsolidierung einer selbstbewussten Persönlichkeit, andererseits wird ihnen die Teilnahme am beruflichen und gesellschaftlichen Leben der Erwachsenen verweigert.
Viele junge Erwachsene erleben sich im Zwiespalt der Idealwelt ihrer Hoffnungen, Sehnsüchte, Pläne und Wünsche und der Realwelt ihrer Lebensbedingungen mit den vielfältigen Einsprüchen, Widerständen, Verweigerungen und Ausgrenzungen. Ihre Lebenswirklichkeit ist maßgeblich geprägt durch die Erfahrung des Scheiterns: Etwa 40% aller Studentinnen und Studenten brechen ihr Studium ab; rund 20% aller Auszubildenden ihre Lehre bzw. ihre Zusatzqualifizierung. Langjährige Freundes- und Liebesbeziehungen zerbrechen. Und immer mehr junge Frauen und Männer erleben ganz hautnah und unter die Haut gehend das Scheitern der elterlichen Ehe mit kaum zu ermessenden Aus- und Nachwirkungen auf die eigene Partnerwahl und Partnerbindung. Viele Brüche begleiten das Leben der nachwachsenden Generation und beeinträchtigen nachhaltig ihre zukünftigen Lebenspläne.
So steht das junge Erwachsenenalter unter den Vorzeichen von Ungewissheit, Unsicherheit, Unentschiedenheit, Unverbindlichkeit und Vorläufigkeit. Die weithin noch ungeklärte und nach allen Seiten offene Lebenssituation führt zu einer Haltung des vorsichtigen Abwägens und Abwartens, des Zögerns und Zauderns, des Überprüfens und Vergewisserns. Das ganze Leben steht gewissermaßen noch unter dem Vorbehalt des Ja, aber … Da sind auch die Liebesbeziehungen nicht ausgenommen. Weit weniger unverbindlich als noch mit 16 oder 17 Jahren, bleibt aus verständlichen Gründen das verbindliche Ja unausgesprochen, denn viele Fragen tun sich auf:
• Können junge Menschen in einer Zeit höchst unverbindlicher Lebensbedingungen schon wirklich verbindliche Lebensentscheidungen treffen?
• Können sie sich ohne zuverlässige Lebensperspektiven überhaupt auf verlässliche Liebesbeziehungen einlassen?
• Schließt nicht vielfach erfahrenes Leben auf Widerruf in den verschiedensten Lebensbereichen eine Zusage ohne Widerruf einem anderen Menschen gegenüber vorläufig aus?
• Lassen die leidvollen Erlebnisse des Scheiterns menschlicher Beziehungen im Elternhaus, unter Geschwistern, Freunden und Kollegen nicht misstrauisch werden gegenüber der eigenen Bindungsfähigkeit wie auch der Bindungsbereitschaft anderer Menschen?
• Können junge Paare in einer Lebensphase, die entscheidend von Vorläufigkeiten und Vorbehalten geprägt ist, einander eine endgültige und bedingungslose Zusage geben bis dass der Tod uns scheidet?
Es ist wohl davon auszugehen, dass die meisten jungen Erwachsenen entwicklungs- und situationsbedingt schlechthin überfordert sind, in dieser Lebensphase größter Ungewissheit und Unentschiedenheit verbindliche, unwiderrufliche und dauerhafte Lebensentscheidungen zu treffen. Auf diesem Hintergrund wird es verständlich, wenn zusehends mehr junge Paare in dieser Lebensphase ein Zusammenleben ohne Trauschein bevorzugen, das eben noch nicht die letztverbindliche Konsequenz einer Ehe einschließt. Aus einem anfangshaft noch zögernden und zaudernden Ja, aber kann sich später ohne weiteres ein eindeutiges Ja ohne Wenn und Aber entwickeln. Aus einem begrenzten, noch überprüfbaren Miteinander kann schließlich ein unbefristetes und vor allem überzeugtes Engagement füreinander erwachsen. In solchen Beziehungen kann vorherrschendes, oft begründetes Misstrauen allmählich abgebaut und erforderliches, oft ersehntes Vertrauen aufgebaut werden. Mit derart angehäuftem Vertrauenskapital lässt sich dann später der entscheidende Schritt in die Ehe mit größerer Zuversicht wagen. Das alles gilt es zu berücksichtigen, wenn über das voreheliche Verhalten der nachwachsenden Generation gesprochen wird. Nicht wenige Erwachsene haben sich hier allzu schnell ihr (Vor-)Urteil gebildet.
Von Ehe und Familie erwartet auch die junge Generation soziale Stabilität und eine gewisse ökonomische Sicherheit. Beides ist im jungen Erwachsenenalter noch längst nicht gegeben! Ist das Zusammenleben ohne Trauschein von daher nicht eher als eine typische Lebensform für diese Lebensphase zu sehen und zu bewerten? Ist sie nicht eigentlich eine durchaus angemessene Antwort auf die zahlreichen ungewissen und ungeklärten Zukunftsfragen dieser Generation?